Die Karl-Volkmar-Stoy-Schule wurde vor 125 Jahren als die neue Jenaer Bürgerschule feierlich eingeweiht und bietet heute ein vielgestaltiges Schulprofil für Jugendliche, die ihre berufliche Laufbahn im kaufmännischen Bereich finden wollen. Als Europaschule fördert die Stoyschule besonders interkulturelle Kommunikation und europäischen Austausch. Über 100 Jahre Tradition als Wirtschaftsschule treffen hier auf moderne Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für junge Menschen. Die Schule kann zugleich auch mit überzeugenden historischen Fakten aufwarten. In der Schulnetzplanung der Stadt Jena spielt heute das nach den Plänen des Architekten Ludwig Hirsch (1856 – 1942) errichtete Haus eine besondere Rolle.
Im Jahr 1870 als sich die Schülerzahl für die zwei bestehenden Bürgerschulen in Jena um fünfzig Prozent erhöhte, wurde der Bau eines neuen Schulgebäudes unbedingt erforderlich. In der Folge beschloss 1890 die Schulbau-Kommission den Neubau einer Bürgerschule. Der Baubeginn erfolgte nach jahrelangen Verhandlungen mit übergeordneten Schulämtern und städtischen Behörden über die Finanzierung, den Standort und das Raumprogramm für die Schule. Als am besten geeigneter Standort wurde die Flur vor dem Paradies neben der Saale gewählt, deshalb auch der Name „Paradiesschule“. Auf diesem Gelände stand seit 1858 die aus Anlass der 300-Jahrfeier der Universität Jena eingeweihte Johann-Friedrich-Schule. Im Jahre 1890 wurde diese Schule abgetragen und auf dem Grundstück die heutige Stoyschule erbaut. Die Johann-Friedrich-Schule hatte der Professor der Pädagogik, Karl-Volkmar-Stoy (1815 – 1885), erbauen lassen. In dieser Schule gründete er 1844 das erste Pädagogische Seminar an der Universität Jena mit einer Volksschule als Übungsschule.
Der Gemeinderat der Stadt Jena stellte mit umfangreicher Unterstützung des Sparkassenvereins die Summe der Baukosten von 350.000 Mark für den Bau des neuen Schulgebäudes zur Verfügung. Das Bauvorhaben wurde auch durch Spenden der Bürger und Stiftungen maßgeblich gefördert. Unter der Bauleitung des verdienstvollen Stadtbaumeisters von Jena, Regierungs-Bauführer Paul Cosack (1852 – 1913), wurde die neue Bürgerschule im Jahr 1892, nach nur zwei Jahren Bauzeit, fertiggestellt. Von diesem Sachverhalt zeugen neben dem sehr schönen Gebäude der Schule noch heute umfangreiche Bau-Zeichnungen, die dessen Unterschrift tragen. Das neue Schulgebäude verfügt über eine Gesamtlänge von 56 Meter, die größte Tiefe der Seitenbauten beträgt 24 Meter und die bebaute Grundfläche hat die Größe von 1.186 Quadratmetern. Neben dem Haupteingang und Garten gibt es einen separaten Ausgang für Knaben und Mädchen. In einem südlich symmetrisch angeordneten Gebäudekomplex befinden sich die Turnhalle sowie die sanitären Einrichtungen. Die neue Bürgerschule in Jena galt als ein neuartiger, moderner Musterbau für Schulen in ganz Deutschland. Das Schulgebäude steht gegenwärtig unter Denkmalschutz.
Am 17. Oktober 1892 fand nach dem Programm einer Kommission des Schulvorstandes die feierliche Einweihung der neuen Schule statt. Die Ehrengäste, der Schulvorstand, der Gemeinderat, die Lehrerschaft, die Schüler der bisherigen beiden Bürgerschulen sowie zahlreiche Jenaer Bürger gingen von der Stadtkirche mit Musikbegleitung zur Paradiesschule. Der Direktor der Bürgerschule, Oskar Zachau, sprach vorher bewegende Worte zum Abschied von der alten Schule in Nähe der Stadtkirche. An der Paradiesschule empfing der Stadtbaumeister, Regierungs-Bauführer Paul Cosack, mit den Handwerkern den Festzug und überreichte dem Bürgermeister der Stadt Jena, Heinrich Singer, den Schlüssel für das neue Schulgebäude. Im Laufe der Geschichte wurde der Name der Bürgerschule mehrfach geändert: Bürgerschule, Johann-Friedrich-Schule, Paradiesschule. Im Jahr 1950 wurde die Paradiesschule die Betriebsberufsschule des VEB Bau-Union-Jena, danach Gewerbliche Berufsschule, Kommunale Berufsschule und Staatliches Berufsschulzentrum für Wirtschaft und Verwaltung.
Seit 1995 wurde das Staatliche Studienseminar für das Lehramt an Berufsbildenden Schulen bei der Ausbildung von Lehramts-Anwärtern mit diesem Schulgebäude verbunden. Seit dem 5. September 2002 heißt die ehemalige neue Bürgerschule: „Karl-Volkmar-StoySchule – Staatliches Berufsschulzentrum Wirtschaft und Verwaltung“. Das Schulgebäude ist heute weithin in Jena bekannt, weil sie als eine berufsbildende Schule ihre Auszubildenden und Schüler zielgerichtet auf den Bildungsabschluss und das Berufsleben vorbereitet. Dabei wird mit den Partnern in Wirtschaft und Verwaltung intensiv zusammengearbeitet. Für die Zukunft der Stoyschule ist im Schuljahr 2018/2019 neben der Weiterführung bewährter Bildungsgänge wie die Fortbildung zu Staatlich geprüften Betriebswirten / Fachrichtung Personalwirtschaft an der Fachschule auch geplant, im neuen zukunftsträchtigen Ausbildungsberuf Kaufmann/Kauffrau für E-Commerce auszubilden.
Die Digitalisierung der Wirtschaft und die Entwicklungen im Groß- und Einzelhandel verändern nicht nur unseren Alltag und das Einkaufsverhalten, sondern auch die Berufsbilder. Ein eigenständiger Ausbildungsberuf im E-Commerce ist in jeder Hinsicht sinnvoll und bietet Auszubildenden und Handelsunternehmen gleichartig vorteilhafte Chancen und Möglichkeiten für die Zukunft. Dem Profil der Stoyschule entsprechend und mit der Absicht, die kaufmännischen Fachkräfte auf die Exportorientierung der Industrieunternehmen der Region bestmöglich vorzubereiten, ist beabsichtigt, beim zuständigen Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport die Einführung der Zusatzqualifikation Europakaufmann zu beantragen. Die Entscheidung über die Genehmigung beider beabsichtigter Neuerungen wird im Frühjahr im zuständigen Bildungsministerium getroffen. Die Schullandschaft in Thüringen ist gegenwärtig teilweise durch Probleme gekennzeichnet. An der Stoyschule ist der Unterricht personell gesichert, aber die Altersstruktur im Lehrer-Kollegium schafft zunehmend Probleme. Im Freistaat Thüringen werden 2017 laut Bericht der Kommission „Zukunft Schule“ pro Schüler
die deutschlandweit höchsten Bildungsausgaben vollzogen, aber zur gleichen Zeit gibt es Lehrermangel, einen viel zu hohen Unterrichtsausfall sowie eine ungünstige Altersstruktur der Lehrer. Vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport gibt es gegenwärtig Bemühungen, diesen Sachverhalt positiv zu verändern.
Jena, 17. Oktober 2017, Dr. Gerhard W. Cosack
Unser Gastautor ist Dipl.-Lehrer im Ruhestand. Er hat zu den Fachgebieten: Philosophie, Pädagogik und Geschichte der Stadt Jena einige Veröffentlichungen erarbeitet.