Geli: Hallo Rainer, du bist mir als igniti-Kollege bekannt und dennoch gibt es etwas, was viele deiner Kollegen inklusive mir nicht wissen bzw. gewusst haben: Du bist ein wesentliches Mitglied der Prüfungskommission, wenn es um die Prüfung für die FachinformatikerInnen für Anwendungsentwicklung geht. (Anmerkung: Für alle im Interview genannten Berufsbilder gilt natürlich das m/w/d – zum Erleichtern des Lesens haben wir die entsprechenden Endungen weggelassen.)
Rainer: Ja genau, ich nehme für die IHK Ostthüringen in Gera seit 2000 mündliche Prüfungen ab und unterstütze seit 2013 die Zentralstelle für Prüfungsaufgaben in Köln bei der Erstellung von bundesweiten schriftlichen Prüfungen für die IT-Berufe als Vertreter für das Bundesland Thüringen.
Geli: Wow! Für welche Berufe denn?
Rainer: Für alle IT-Berufe. Das waren nach der alten Prüfungsordnung 5 (IT-System-Elektroniker, IT-System-Kaufmann, Informatikkaufmann und die beiden Fachinformatiker, Anwendungsentwicklung bzw. Systemintegration). Bei den schriftlichen Prüfungen geht es bei mir speziell um den Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung; hierfür finden je nach Ausbildungsbeginn 2x jährlich – im Mai und Oktober – die Prüfungen statt. Und genau dafür müssen Aufgaben neu erstellt werden. Die Prüfungen sind bundeseinheitlich, mit Ausnahme von Baden-Württemberg.
Geli: Soweit mir bekannt ist, gab es vor ein paar Jahren eine Neuordnung der IT-Berufe – warum eigentlich?
Rainer: Die Inhalte der alten Ausbildungsberufe wurden analysiert und in Hinblick auf Aktualität überprüft und entsprechend angepasst und modernisiIert. Ebenso gab es neue Qualifikationsanforderungen aus der Wirtschaft. Nach der Neuordnung gibt es nun 7 IT-Berufe bzw. Spezialisierungen: IT-System-Elektroniker, Kaufmann für IT-Systemmanagement, Kaufmann für Digitalisierungsmanagement, Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung, Fachinformatiker für Systemintegration, Fachinformatiker für Daten- und Prozessanalyse und den Fachinformatiker für Digitale Vernetzung.
Daher gibt es im Moment auch eine Mehrbelastung, weil Prüfungsaufgaben nach alter und neuer Prüfungsordnung erstellt werden.
Geli: Wie genau sehen denn die Prüfungen aus?
Rainer: Ursprünglich gab es eine Zwischenprüfung und eine aus drei Prüfungsteilen bestehende Abschlussprüfung: ein Teil Wirtschafts- und Sozialkunde, der zweite bzw. dritte Teil bestand aus ganzheitlichen Aufgaben für alle IT-Berufe sowie aus Spezialisierungsfragen für einzelne IT-Berufe.
Jetzt gibt es eine gestreckte Prüfung. Dabei werden die zur beruflichen Handlungsfähigkeit im Sinne des Berufsbildungsgesetzes gehörenden Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, d. h. die beruflichen Kompetenzen, welche am Ende der Berufsausbildung erwartet werden und zum Handeln als Fachkraft befähigen, in zwei zeitlich auseinanderfallenden Teilen geprüft.
- Teil 1 der Abschlussprüfung bezieht sich auf die berufsbildübergreifenden Berufsbildpositionen, die für alle Ausbildungsberufe identisch sind.
- Teil 2 der Abschlussprüfung umfasst die berufsspezifischen Berufsbildpositionen und eine allen IT-Ausbildungsberufen einheitlichen Teil für Wirtschafts- und Sozialkunde. Weiterhin fließt eine Betriebliche Projektarbeit ebenfalls in diesen Teil der Abschlussprüfung mit ein.
Geli: Seit wann bist du im „Prüfungsmodus“, Rainer und was trieb dich dazu an?
Rainer: Früher war ich freiberuflich als Dozent unter anderem bei der Grundig Akademie in Gera tätig. Irgendwann gab es von dort aus das Angebot, Jemanden in die Prüfungskommission zu senden, zunächst für die mündlichen Prüfungen. Es ging darum, die Projektarbeiten der Auszubildenden zu bewerten sowie die schriftlichen Prüfungen zu korrigieren.
Geli: Was macht dir besonders Freude bei dieser Tätigkeit?
Rainer: Man sieht andere Leute aus anderen Firmen, man erfährt interessante Sachen und wir halten unsere Sitzungen und Prüfungen auch teilweise in den Unternehmen der Mitglieder ab.
Insgesamt gibt es in der IHK Ostthüringen in Gera ca. 15 – 20 Prüfer. Bei einer mündlichen Prüfung sind normalerweise 3 Prüfer dabei. Zwei Prüfer korrigieren und bewerten im Vorfeld die betriebliche Projektarbeit und stellen dem Prüfling Fachfragen, meist aus dem Umfeld der Projektarbeit. Der/die Dritte führt das Protokoll. Ich selbst bin bei den Fachinformatikern für Anwendungsentwicklern dabei, insbesondere auch bei Datenbank-Themen.
Seit 2013 habe ich für die ZPA mit Sitz in Köln schriftliche Prüfungen für die Anwendungsentwickler erstellt, dieser Ausschuss besteht aus insgesamt 6 Personen deutschlandweit. Wir treffen uns in Präsenz z.B. in Köln, Berlin, Hamburg, Erfurt…, schreiben dann das Drehbuch für die Prüfungsaufgaben z.B. „Ein Logistikunternehmen XYZ plant die Umsetzung…“. Daraus ergeben sich dann meist Aufgabe aus den Bereichen Projektplanung und -entwurf, Entwurf von Algorithmen in Form von Pseudocode (an Code von Programmiersprache angelegt), PAP oder Struktogrammen, Objektorientierte Programmierung, Entwurf von Datenbanken, SQL-Abfragen – all das versuchen wir abzudecken.
Geli: Was war denn das „speziellste“ Prüfungserlebnis für dich?
Rainer: Naja, es war interessant zu sehen, wie ein ganz schüchterner Prüfling mit einem T-Shirt die Prüfungsbühne betrat auf dem stand: „Heute ist ein guter Tag zum Sterben.“
Wir haben ihn erst einmal versucht zu motivieren und konnten sehen, wie er mit jeder Frage aufblühte. Ein anderes Highlight war ein Prüfling, der bereits nach der ersten Frage konstatierte: „Das wird nix.“ Er wollte abbrechen, hat es dann nach gutem Zureden jedoch geschafft und war anschließend natürlich sehr glücklich und dankbar.
Wenn jemand durchfällt, hat man als Prüfer immer ein schlechtes Gefühl. Darum sind wir dem zu Prüfenden immer zugetan, aber manchmal kann man einfach nichts machen…
Geli: Und wie geht es dann weiter, wenn die Fragen gestellt sind und hoffentlich die richtigen Antworten dabei herauskamen?
Rainer: Dann bewerten und diskutieren wir, während der Prüfling draußen wartet.
Geli: Wie ist eigentlich das Verhältnis Prüfer zu Prüferinnen?
Rainer: Bei den derzeit 15-20 Prüfern ist lediglich eine Frau dabei. In der Berufsschule gab es wesentlich mehr Frauen (ca. 90/10). Der Beruf hieß damals noch „Facharbeiter für Datenverarbeitung“. Als ich 1986 anfing zu studieren war das Verhältnis ca. 50/50.
Geli: Rainer, was sind deine Tipps für diejenigen, die sich für eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung entschlossen haben?
Rainer: Viel Programmierung, Algorithmierung! Es muss auf jeden Fall Spaß machen und einem liegen… man (Frau) muss vom Großen aufs Kleine kommen, .
Für die Ausbildung an sich empfehle ich den ständigen Austausch in Foren mit Anderen. Es geht darum, sich auch mit anderen Lösungen zu beschäftigen.
Und was die Prüfungen angeht: schaut euch alte Prüfungen an – die sind vom Stil her immer ähnlich gehalten.
Geli: noch eine Frage, Rainer: Du hast 5 Kinder, sind die auch alle InformatikerInnen geworden?
Rainer: meine Kinder sind inzwischen alle erwachsen: 33, 31,29,25,21 – Informatik? Die jüngsten beiden studieren noch: Bioinformatik…
Geli: Was möchtest du uns sonst noch mit auf den Weg geben?
Rainer: Meine eigene Erfahrung sagt mir, dass es immer sinnvoll ist, vor einem geplanten Studium eine entsprechende Ausbildung zu machen! Durch den Beruf habe ich das Programmieren schon gekonnt, das war von großem Vorteil für mich!